Gott … mehr als Du denkst!
Ein Gespräch zwischen unserer studentischen Mitarbeiterin Merle Niederwemmer und unserem Vikar Johannes Nett
Merle, was verstehst Du unter Glauben?
Zu bestimmen was Glaube ist, ist meiner Meinung nach eine unendliche Aufgabe. Aber wieso muss man Glaube denn auch definieren können? Jede*r von uns glaubt auf seine/ihre eigene Art und Weise. Ich kann nur von mir sprechen, wenn ich sage, dass der Glaube mich in meinem Alltag stärkt, in mir unendlich viele Gefühle weckt aber mir auch einfach das Gefühl von „angekommen sein“ schenkt.
Der Begriff Glaube ist mehrdeutig. Er meint zum einen den Glaubensvollzug, mit dem geglaubt wird, zum andern aber auch den Inhalt, das, woran man glaubt. Du hast eben insbesondere den Glaubensvollzug beschrieben. Würdest Du der Aussage zustimmen, dass Glauben ohne ein konkretes Gegenüber nicht sein kann?
Im Zusammenhang mit Glauben steht natürlich auch Gott. Glaube und Gott, das ist gar nicht ohne einander zu denken, diese beiden stehen für mich in wechselseitiger Beziehung. Ich fülle meinen Glauben mit ganz konkreten Vorstellungen. Auch von Gott. Ich habe eine persönliche Gottesvorstellung, wie jede*r Einzelne von uns sie in sich trägt. Jede Religion gibt diesem Übermenschlichen einen anderen Namen. Wir Christ*innen sprechen ganz allgemein von Gott, ohne diese allgemeine Bezeichnung näher zu erklären. Jede*r von uns glaubt nicht nur auf seine/ihre eigene Art und Weise, sondern jede*r von uns hat auch seine ganz eigene Beziehung zu Gott. Viele assoziieren mit Gott Schutz, Rückhalt, Stärke und Allmächtigkeit. Es gibt aber auch die Menschen, die Gott anders denken, sinnlicher, weicher. Fürsorge, Sanftmut, Milde, Herzensgüte und Zartheit.
In der klassischen theologischen Dogmatik kommen Gott typische Eigenschaften zu: Gott gilt als allmächtig, allgütig, allwissend. Er ist ewig und zugleich allgegenwärtig. Manchen genügt es auch festzustellen, dass Gott die Liebe sei. Welche Eigenschaften Gottes sind Dir wichtig?
Ich habe eben gesagt, dass jede*r auf seine/ihre eigene Art und Weise glaubt. Dies bringt mit sich, dass jede*r auch an verschiedene Seiten Gottes glaubt. In der Theologie sprechen wir in Bildern um Gott ein wenig greifbarer und auch erfahrbarer zu machen. Da gibt es das Bild des Vaters, die Rolle des Hirten oder auch die Rolle der Mutter. Diese drei Rollen verbindet jede*r Einzelne von uns/ihnen mit ganz individuellen Erlebnissen, Erfahrungen und vor allem Gedanken. Alle drei Rollen haben aber eins gemeinsam: Sie sollen die besonders intensive Verbindung zu Gott hervorheben. Hierbei geht es nicht um einen Verwandtschaftsgrad, sondern um die Metapher. Ich kann daher beispielsweise auch Gott als Mutter ansprechen. Damit betone ich die weiblichen Seiten an Gott und bete nicht, wie Katholiken, Maria in meinem Gebet an. Durch die Verwendung und Betonung der verschiedenen Seiten Gottes geht es darum, eine tiefe, rein und unendliche Liebe spürbar zu machen.
Du sprichst die Geschlechtlichkeit als eine Möglichkeit für die Rede von Gott an. Welche Stärken erkennst Du darin, bei der Rede von Gott ein konkretes Geschlecht im Blick zu haben?
Wir wissen alle, dass es Mama-, und Papakinder gibt. Mit einem Elternteil fühlt man sich einfach noch ein bisschen enger verbunden, als zu dem anderen. So ist es auch mit den Gottesnamen. Mit dem einen fühlt man sich näher bei Gott. Wir müssen nicht Gott mit demselben Namen ansprechen.
Dafür gibt im Übrigen schon die Bibel selbst Vorbilder: Das hebräische Wort für den Geist Gottes im Alten Testament ist nach seinem grammatikalischen Geschlecht weiblich. Gott trägt im Alten Testament viele Bezeichnungen. Als „Vater“ wird Gott im Alten Testament nur 17mal bezeichnet, dem gegenüber 7000mal mit dem Gottesnahmen und 2600mal mit Elohim, was mit „der Herr“ übersetzt werden kann. Im Übrigen ist es bei der Bezeichnung „Mutter“ nicht anders. Die Vatermetapher soll helfen unsere Kindschaft gegenüber Gott besser auszudrücken. Wir dürfen uns gegenüber Gott so verstehen, wie ein Kind gegenüber seinen Eltern. In diesem Sinne kann Gott auch an prominenter Stelle als Mutter bezeichnet werden, etwa in Jes 66,13. Im Neuen Testament umschließt die Bezeichnung von Gott als Vater auch Eigenschaften wie Barmherzigkeit oder Zuwendung, also klassisch weibliche Attribute.
Gott ist so vielschichtig, wie der Glauben. Glauben und Religion sind bunt, sie tragen viele Namen, kennen viele Gesichter und zeigen sich auf die allerlei Weisen. Gott kann nicht schwarz und weiß gedacht werden, dafür hat Gott uns schon zu viele Farben geschenkt. So möchte ich auch mit Euch Gott bunt denken. Die verschiedenen Seiten mit ihm beleuchten und erstrahlen lassen.
Zum Abschluss möchte ich noch einmal zu meiner Ausgangsfrage zurückkommen. Was bedeutet es für Deinen Glauben, Merle, wenn Du Gott nicht bloß als Vater anredest?
Lieber Johannes, liebe Gemeinde, nicht nur Kirche und Gemeinde, sind mehr als wir denken. Nein, auch Gott ist noch viel mehr, viel facettenreicher, als wir denken! Lassen Sie uns durch verschiedene Bilder Gott zusammen bunt denken und neue Zugänge zu Gott finden! Ich bin mir sicher, dass dies unser Verständnis vertiefen und unseren Austausch anregen kann.
Die Fragen an die Theologiestudentin Merle Niederwemmer stellte unser Vikar Johannes Nett. Das Gespräch nimmt Bezug auf das Wort zum Mittwoch vom 13.05.2020. Im Gebet bezeichnet Frau Niederwemmer Gott im oben genannten Sinne als Mutter.